Dienst am Zuschauer

 

Wer immer noch an den Segnungen der Europäischen Union für den Normalbürger zweifelt, sei auf ein Rechtsgebiet verwiesen, das ohne die EU in Deutschland ziemlich erbärmlich dastünde, nämlich der Verbraucherschutz. Die wesentlichen, ins BGB integrierten Regelungen zum Verbrauchsgüterkauf, Verbraucherkredit, Fernabsatz und Fernunterricht, überhaupt die Definition des Verbrauchers selbst im BGB (§ 13) verdanken wir EU- Richtlinien, die vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden mussten.


Der Umstand, dass sich hier EU-Recht im deutschen BGB ausbreitet, mag mit der Grund dafür sein, dass deutsche Gerichte oft einen hartnäckigen Abwehrkampf gegen allzu viel Verbraucherschutz in Deutschland führen.

Ein Beispiel derartiger Bemühungen ist das Urteil des BGH vom 13.03.2003, (I ZR 290/00) zum Pay-TV-Vertrag („Premiere"). Es ging dabei um die Frage, ob der Abonnent über ein Recht, den Vertragsabschluss zu widerrufen, zu belehren sei. Ein solcher Widerruf ist möglich bei Verträgen über die regelmäßige Lieferung von Sachen (früher nach dem Verbraucherkreditgesetz, jetzt gemäß §§ 505, 355 BGB).


Mit typisch juristischer Scharfsinnigkeit hat der BGH erkannt, dass ein Fernsehprogramm keine Sache sei, sondern eine Dienstleistung. Da Dienstleistungen in den einschlägigen Verbraucherschutzgesetzen nicht genannt sind, gibt es hier also auch keinen Widerruf. So einfach ist das - meint jedenfalls der BGH. Dabei sucht man ein Element des klassischen Dienstvertrages, nämlich das Weisungsrecht des „Dienstherrn", beim Pay-TV-Vertrag vergeblich. Liegt es etwas darin verborgen, dass der Abonnent das Programm mit der Fernsteuerung wegzappen kann?


Was der BGH hier praktiziert hat, ist die klassische Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. Anstelle auf die erkennbare Absicht des EU-Richtliniengebers, die Verbraucher vor Übervorteilung und übereilten Entschlüssen zu schützen, stellt der BGH in altbackenem Schubladen denken auf einen Begriff ab, nämlich den der Dienstleistung. Dass das alt-ehrwürdige BGB erheblich ins Knirschen kommt, wenn man seine traditionellen Vertragstypen aus dem Jahr 1900 auf den modernen Güteraustausch im IT-Bereich anwendet, mag der BGH dabei offen bar nicht wahrhaben.


Doch Rettung ist in Sicht: Der neue § 312 d BGB sieht für Fernabsatzverträge ein Widerrufs recht auch bei Dienstleistungen vor. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten, denn das Widerrufsrecht erlischt, wenn der Unternehmer mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers mit der Ausführung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen hat (§ 312 d Abs. 2 BGB). Also, Pay-TV-Abonnenten, aufgepasst: Erst widerrufen, dann einschalten!


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© Dr. Thomas M. Hellmann